PHILOSOPHIE
Lektion

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Die Epikureer (2): Lust und Maß

Im Garten der Lüste

Lust und Maß
Der Garten als Ort der Lust
Grafik: Aphilia

Wer unter dieser Überschrift die Darstellung erotischer Ausschweifungen erwartet, wird leider enttäuscht werden. Im Gegenteil, denn die Epikureer praktizierten gerade nicht die zügellose Hingabe, sondern die von der Einsicht (Phronesis) kontrollierte Lust. Nicht die Extase, sondern der Gleichmut der Seele und die Freiheit von Schmerz ist das Ziel der epikureischen Lebensgemeinschaft. Das zehnte Buch des Biographen Diogenes Laertios dokumentierte Epikurs Lustbegriff im seinem "Brief an Menoikeus":

"Darum nennen wir auch die Lust Anfang und Ende des seligen Lebens. Denn sie haben wir als das erste und angeborene Gut erkannt, von ihr aus beginnen wir mit allem Wählen und Meiden, und auf sie greifen wir zurück, indem wir mit der Empfindung als Maßstab jedes Gut beurteilen. Und eben weil sie das erste und angebotene Gut ist, darum wählen wir auch nicht jede Lust, sondern es kommt vor, daß wir über viele Lustempfindungen hinweggehen, wenn sich für uns aus ihnen ein Übermaß an Lästigem ergibt. Wir ziehen auch viele Schmerzen Lustempfindungen vor, wenn uns auf das lange dauernde Ertragen der Schmerzen eine größere Lust nachfolgt. Jede Lust also, da sie eine uns angemessene Natur hat, ist ein Gut, aber nicht jede ist zu wählen; wie auch jeder Schmerz ein Übel ist, aber nicht jeder muß natürlicherweise immer zu fliehen sein.

Durch wechselseitiges Abmessen und durch die Beachtung des Zuträglichen und Abträglichen vermag man dies alles zu beurteilen. Denn zu gewissen Zeiten gehen wir mit dem Gut um wie mit einem Übel und mit dem Übel wiederum wie mit einem Gute.

Der Biograph Diogenes Laertius

Mit Diogenes von Sinope, dem  berühmten Philosophen aus dem Fass, hat Diogenes Laertius nur den Namen gemein. Der Biograph Diogenes verfassten um 220 nach Christus das durchaus vergnüglich zu lesende  Werk "Leben und Meinungen berühmter Philosophen". Wichtige Bücher darin - heute würde man Kapitel sagen - sind das dritte über Platon und das zehnte über Epikur. Darin enthalten sind die drei Briefe Epikurs und einige Fragmente. Rund dreihundert Manuskripte sind leider verloren. Nur Platon und Epikur hatte Diogenes ein eigenes Buch gewidmet. Diogenes  Werk gilt aber auch für alle anderen Philosophen von den Vorsokratikern bis zum Hellenismus als eine der wichtigsten biographischen Quellen. 

Wir halten auch die Selbstgenügsamkeit für ein großes Gut, nicht um uns in jedem Falle mit Wenigem zu begnügen, sondern damit wir, wenn wir das Viele nicht haben, mit dem Wenigen auskommen, in der echten Überzeugung, daß jene den Überfluß am süßesten genießen, die seiner am wenigsten bedürfen, und daß alles Naturgemäße leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist, und daß bescheidene Suppen ebensoviel Lust erzeugen wie ein üppiges Mahl, sowie einmal aller schmerzende Mangel beseitigt ist, und daß Wasser und Brot die höchste Lust zu verschaffen vermögen, wenn einer sie aus Bedürfnis zu sich nimmt. Sich also zu gewöhnen an einfaches und nicht kostspieliges Essen verschafft nicht nur volle Gesundheit, sondern macht den Menschen auch unbeschwert gegenüber den notwendigen Verrichtungen des Lebens, bringt uns in eine zufriedenere Verfassung, wenn wir in Abständen uns einmal an eine kostbare Tafel begeben, und erzeugt Furchtlosigkeit vor den Wechselfällen des Zufalls.

Aristoteles
Epikur
Platon Raffael

Wenn wir also sagen, daß die Lust das Lebensziel sei, so meinen wir nicht die Lüste der Wüstlinge und das bloße Genießen, wie einige aus Unkenntnis und weil sie mit uns nicht übereinstimmen oder weil sie uns mißverstehen, meinen, sondern wir verstehen darunter, weder Schmerz im Körper noch Beunruhigung in der Seele zu empfinden. Denn nicht Trinkgelage und ununterbrochenes Schwärmen und nicht Genuß von Knaben und Frauen und von Fischen und allem anderen, was ein reichbesetzter Tisch bietet, erzeugt das lustvolle Leben, sondern die nüchterne Überlegung, die die Ursachen für alles Wählen und Meiden erforscht und die leeren Meinungen austreibt, aus denen die schlimmste Verwirrung der Seele entsteht."

Der Materialismus epikureischer Prägung

(1) Lebe verborgen
(2) Lust und Maß
(3) Götter und Tod
(4) Stoa und Humanismus
Epikur und der Besitz
Epikur und der Besitz
Grafik: Aphilia

Epikur tritt dafür ein, die Furcht vor den Göttern zu überwinden - eine Haltung, die zwei Jahrtausende später als Materialismus bezeichnet wird. Was ihn von den modernen Materialisten unterscheidet, ist aber die Geringschätzung der irdischen Güter. Entbehrung ist ihm wichtiger als Besitz:
"Reich ist nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß."
Die Anhänger eines marxistischen Materialismus hätten im Garten Epikurs wohl wenig Freude, denn der Erwerb und die gerechte Verteilung von Besitz standen nicht im Zentrum der epikureischen Ethik. Freilich musste auch der Garten finanziell unterhalten werden, der nach Angaben eines antiken Autors ebenso wie die Akademie Platons und das Lykeion des Aristoteles über eine eigene Bibliothek verfügte. Epikur hatte Sklaven in seiner Schülerschaft, die wohl kaum finanzielle Mittel beisteuern konnten. Dafür pflegte er ein freundschaftliches Netzwerk, dass den Garten mit Zuwendungen unterstützte.

Die Epikureer (2): Lust und Maß