Die Geschichte der Stoa

Reproduktion einer Abbildung aus Diogenis Laertii De Vitis von Marcus Meibomius, vermutlich 1692 erschienen (laut Originalseite), basiert anscheined auf einer Fotografie aus dem Jahre 1901
Zenon von Elea, Namensvetter der Zenon von KItion

Die Geschichte der Stoa ist spannend, die Vorgeschichte auch! Die Geburtsstunde der Stoa als philosphische Schule mit einer Systematisierung in Physik, Logik und Ethik schlägt im vierten Jahrhundert vor Christus in Athen. Als ihr Gründer gilt Zenon von Kition. Doch es lohnt sich, auch das Wirken seines Namensvetters Zenon von Elea unter der „stoischen Brille“ zu betrachten.

Die Vorgeschichte der Stoa

Der ältere Zenon gehört zu einer eine Gelehrtengruppe im unteritalienischen Elea, einem Zentrum der griechischen Kultur außerhalb des Kernlandes, das im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus seine Blütezeit hat. Zu den herausragenden „Eleaten“ zählen neben Zenon auch der Existenzphilosoph Parmenides und der Religionsphilosoph Xenophanes. Was hat aber nun Zenon von Elea mit der stoischen Schule gemein? Zenon war ein genialer Theoretiker der Langsamkeit, einer stoischen Urtugend, und die auf sehr spezielle Weise. Mit Hilfen von Paradoxien – schlüssigen und zugleich widersprechenden Aussagen – zeigt er wie leicht unser Denken und unsere Wahrnehmung getäuscht werden können und warnt uns damit vor der Gefahr des allzu schnellen Urteils. Sein Rennen zwischen dem griechischen Helden Achill und einer Schildkröte ist bis zum heutigen Tage Gesprächsstoff für Philosophen und Mathematiker.

Das Rennen zwischen Achill und der Schildkröte

Das Bild oben zeigt die Startaufstellung zwischen dem Rennläufer Achill und einer Schildkröte. Um es Achill nicht gar zu einfach zu machen, erhält die Schildkröte einen Startvorsprung. Die Kontrahenden begeben sich in Hab-acht-Position und erwarten den Beginn des Wettkampfes.

Das Rennen beginnt

Das Rennen beginnt. Nach einiger Zeit hat Achill den Punkt erreicht, an dem die Schildkröte einst gestartet war. Die Schildkröte selbst hat er natürlich noch nicht erreicht, denn sie ist in der Zwischenzeit schon wieder ein Stückchen weiter gekrochen. Betrachtet man die Szenerie ein kleines Zeitintervall später, so ergibt sich das selbe Szenario. Jeder Punkt, den Achill erreicht, wurde von der Schildkröte bereits verklassen

Das ewige Rennen

Das Rennen zwischen Achill und der Schildkröte
Das Rennen zwischen Achill und der Schildkröte

Bei der stetigen Verkleinerung des Zeitintervalls der Betrachtung wird der Rennläufer Achill die Schildkröte nie erreichen. Diese Botschaft erscheint uns heute, in einer vom Ideal der Dynamik (griech. Bewegung) geprägten Welt wenig brauchbar. Trotzdem ist die Stoa eine Philosophie des glücklichen Lebens. Dieses ist aber nicht durch hektisches Tun oder dem Streben nach Lustgewinn erreichbar, sondern durch die vernunftbedingte Einsicht in die göttliche Kraft, den „Logos“, der das Weltgeschehen bestimmt. Wer innerhalb dieser Ordnung lebt, befindet sich in Übereinstimmung mit der Natur und ist im wohlmeinenden Sinne bewegungslos. Die Schule der Stoa in Athen wird das Prinzip der Entschleunigung als Mittel zur Erlangung der „Meersstille der Seele“ in ihr Lehrgebäude integrieren.

Vernunft und Trieb

Der Weg zum Glück führt nach der Lehre der Stoa über die Vernunft. Die Triebe des Menschen dürfen erst dann zur Geltung kommen, wenn die Vernunft ihnen zugestimmt hat, da die Seele sonst mit Affekten beladen wird und somit unglücklich wird. Der Mensch ist glücklich, der es in der Hand hat, Triebe und unerfüllbare Bedürfnisse von sich zu weisen. Was bleibt dem Stoiker dann aber übrig? Das Anhäufen von Geld und materiellem Reichtum ist es nicht. Es ist der Funken der Welt der sich in seiner Seele befindet. Er macht es ihm möglich, die Widrigkeiten des Seins als Schicksal anzunehmen, zu ertragen.

Die Meeresstille der Seele

Anhand des Wettrennens zwischen der Schildkröte und dem Sprinter gezeigt, dass Bewegung (griech. Dynamis) nicht zwangsläufig zu einem Ziel führt. Die stoische Lehre bevorzugt ihr Gegenteil, die Zurückhaltung. Der Stoiker strebt nicht nach Dingen, sondern verzichtet auf sie, soweit es ihm möglich ist. Denn das Sich-kümmern ist mit Sorgen und Nöten verbunden. Durch die Freiheit von den Bemühungen gelangt der Weise zur Leidenschaftslosigkeit, Unerschütterlichkeit und zur „Meeresstille der Seele“.

Wieviel Stoa verträgt der Mensch?

Die Philosophie der Stoa ist ein geistiger Enwurf jenseits von allem Fanatismus. Wo der Eiferer nach Veränderung und Verbesserung strebt, übt sich der Stoiker in der Beschränkung. Die Lehre gerät freilich mit sich selbst in Widerspruch, wenn die Kontrolle in allen Lebensbereichen zum allzu hoch gesteckten Ziel wird. Ein sehr rigoroser Vertreter der stoischen Lebensweise läuft Gefahr, dieser ausgerechnet durch seine Bemühungen nicht mehr gerecht zu werden.

Zenon, Epikur und Chrysipp

Die Wissenschafft unterscheidet üblicherweise eine ältere, mittlere und jüngere Stoa. Vertreter der älteren Stoa, gewissermaßen ihre Gründungsväter, sind Zenon von Kition, Epikur und Chrysipp. Zenon lehrte in der Bunten Säulenhalle (Stoa poikile) in Athen, woher die Philosophenschule auch ihren Namen entlieh. Epikur gründete 306 v.Chr. die „Schule des Gartens“, die auch noch lange nach seinem Tod, bis ins zweite Jahrhundert nach Christus weiterbestand. Dieser Garten war nicht nur ein Lehrort, sondern auch ein Ort epikureischer Lebenspraxis.

Der missverstandene Epikur

Die Epikureer lehrten und lebten eine Spielart der stoischen Philosophie, die häufig Missinterpratationen unterworfen ist. Epikur strebte nämlich nach einem Leben in „dauerhafter Lust“. Damit wollte er jedoch nicht der Hemmunglosigkeit Vorschub leisten, der Verächter des vergänglichen Rausches suchte die Lust der Ruhe. Lust begann bei Epikur mit der Abwesenheit von Schmerz. Chrysipp, der letzte Vertreter des drei großen älteren Stoiker systematisierte die Lehre in zahlreichen Schriften.

„Indes, wozu muss er sich Unterhalt verschaffen? Etwa des Lebens wegen? Aber das Leben ist etwas Gleichgültiges. Oder der Lust wegen? Auch diese ist gleichgültig. Oder der Tugend wegen? Sie ist für sich selbst genug zur Glückseligkeit. Lächerlich ist auch jede Art der Beschaffung des Unterhaltes, wie z.B. die durch die Gnade eines Königs; denn man muss sich dann dessen Launen fügen; oder die auf dem Wege der Freundschaft, denn dann wird diese käuflich für Gewinn; oder mittels der Weisheit; dann wird die Weisheit auf Lohn ausgehen.“

Chrysipp, zitiert nach Diogenes Laertius

Die sokratische Wende

Mit der sokratischen Wende begann ein neues Zeitalter der Philosophie. Nicht mehr die Natur, sondern der Mensch wurde zum Mittelpunkt der Betrachtung. Sokrates hatte sein Leben damit verbracht, die Bürger Athens zum vernünftigen Denken zu verführen. Wie Sokrates waren die Stoiker der Ansicht, dass die gesamte Natur von einer übergeordneten, göttlichen Vernunft bestimmt ist, dem Logos, der für alle Menschen gleich gilt. Einen Unterschied zwischen Sokrates und den Stoikern gibt es in der Lebenspraxis. Der Stoiker verstand sich als Weltbürger (Kosmopolit) mit einem distanzierten Verhältnis zum Staat. Epikur riet den Menschen, „im Verborgenen zu leben“. Sokrates hingegen war nicht nur patriotischer Athener, sondern auch überzeugter Verfechter einer offen ausgetragenen politische Debatte um alle wichtigen Angelegenheiten. Und um alle unwichtigen. Sokrates suchte die Diskussion, wo immer sich eine Gelegenheit anbot.

Die verlorenen Schriften der Stoa

Chrysipp befasste sich nicht nur mit den typisch stoischen Fragen nach der richtigen Lebensweise, sondern auch mit Logik und Sprache. Leider gibt es sehr wenige erhaltene Schriften des stoischen Systematikers. Schuld daran ist niemand Geringeres als der ungestüme Römer Julius Cäsar. Der ließ im Jahre 47 vor Christus im Liebesrausch zu Cleopatra die Schiffe ihrer Gegner im Hafen von Alexandria niederbrennen. Das Feuer griff auf die Bibliothek von Alexandria nieder und nicht nur Chrysipps Schriften gingen für immer verloren.  

Die Stoa erobert Rom

Als mittlere und jüngere Stoa wird der Einfluss der griechischen Lehre in Rom bezeichnet. Bei den elitären römischen Patriziern war die Lehre des einfachen Lebens zumindest als Theorie durchaus beliebt, verlangte sie doch eine gewisse Selbstdiziplin und andere Eigenschaften, die zur Staatsführung notwendig erschienen.

Seneca – der Erzieher Neros

Der Jurist, Anwalt und messerschafe Logiker Seneca hielt den Reichen zwar nicht ihre angesammelten Schätze nicht direkt als Makel vor, wohl aber deren Umgang mit ihnen: „Sie betäubten sich mit ihrem Reichtum und wurden dabei selbst nicht glücklich.“ Das Ideal Senecas war weit von der Wirklichkeit Roms entfernt: Er hatte das Bild des stoischen Weisen vor Augen, der durch die rechte Gesinnung (Menschenliebe) und das richtige Handeln (Wohltaten) zum sozialen Gelingen beiträgt. Hierdurch unterscheidet er sich vom elitären Denken des griechischen Stoikers Epikur, der die Beteiligung an der Gesellschaft ablehnte und sich im Garten zurückzog. An der Aufgabe, seinen von Natur aus unbeherrschten Schüler Nero zur Mäßigung zu erziehen, scheiterte Seneca selbst in kläglicher Weise.

Epiktet und Marc Aurel

Epiktet war ein freigelassener phrygischer Sklave. Als viele Stoiker aus Rom verbannt wurden, gründte Epiktet in Nikopolis eine eigene Philosophenschule. Bekannt ist er durch sein „Handbüchlein„, eine auch heute erhältliche und sehr lesens- wie nachdenkenswerte Sammlung lebenspraktischer Traktate. Mit Marc Aurel gelangte erstmals ein Stoiker auf den Kaiserthron. In seinen „Selbstbetrachtungen“ resümierte er über die Bestimmung des Menschen in einer von den Göttern wohl durchdachten Welt:

„Ehre die Götter und sorge für die Menschen. Kurz ist das Leben. Nur eine Frucht trägt das irdische Dasein: fromme Gesinnung und gemeinnütziges Tun.“

Marc Aurel

Die Kraft zum Guten liegt nach der Überzeugung von Marc Aurel im Inneren eines jeden verborgen. Sie macht den Weisen so stark, dass er vor der Welt „aufrecht oder aufgerichtet“ bestehen kann. Die Lehren Marc Aurels wurden nicht nur vom Christentum adaptiert, auch Friedrich der II. von Preußen wählte den Philosophenherrscher zum Vorbild.

Das Handbüchlein des Epiktet

In seinem „Handbüchlein der Moral“ stellte Epiktet eine Reihe von Lebensregeln auf, mit denen der Weise dem Schicksal begegnen kann, ohne an der Welt zu verzweifeln. Weil Ereignisse wie Verlust, Krankheit und Tod oft nicht in menschlicher Hand liegen, ist es vernünftig mit den Wünschen sparsam umzugehen:

Verlange nicht, dass die Dinge verlaufen, wie du es wünschst, sondern wünsche sie so, wie sie verlaufen; dann wirst du glücklich sein.“

Epiktet

Der Trost der Philosophie

Auf der Schwelle zwischen Spätantike und Christentum versöhnt der beim König der Ostgoten in Ungnade gefallene Boethius die griechische Philosophie mit der neuen Weltsicht. Sein Buch über den „Trost der Philosophie“ ist im Kerker geschrieben. Der christliche König Theoderich, dem er einst als hoher Beamter gedient hatte, verdächtigte ihn der Konspiration mit dem Feinde, dem rivalisierenden Byzanz. Boethius wird zum Tod durch das Schwert verurteilt. In der Zeit der zu erwartenden Enthauptung bewahrt er sich die innere Haltung der Menschenliebe: „Liebe die Guten nach Recht, Böser erbarme dich mild“.

Elemente der Stoa im Christentum

Die Vetreter der alten, stoischen und der neuen, christlichen Weltsicht lagen zunächst in einem Konflikt. Doch das Christentum entwickelte sich wie alle Religionen im Laufe der Jahre. Verschiedene Teile anderer Ströungen wurden integriert. Mit der Stoa war dies nicht allzu schwierig, denn es gibt zwischen den beiden Lehren durchaus Parallelen. Beide idealisieren das Bedürfnislosigkeit, die Maßhaltung, und die Orientierung an den wesentlichen Dingen des menschlichen Lebens. Und in beiden Traditionen können alle Menschen am Glück teilhaben. Die Stoa unterscheidet nicht in Bürger, Sklaven und Barbaren, vertritt also wie das Christentum das Ideal der Gleichheit.
Auch die Schwierigkeiten sind ähnlicher Natur: In der realen Welt, die von Macht- und Besitzstreben geprägt ist, droht die ursprüngliche, moralisch bestimmte Lehre den Sachzwängen unterworfen zu werden. Der Unterschied zwischen Stoa und Christentum liegt ironischerweise weniger im Detail wie im Grundsätzlichen. Die Stoa ist eine philosophische Lehre unter vielen und beruft sich anders als das Christentum nicht auf eine göttliche Offenbarung.

Paulus in Athen

Der Erstkontakt zwischen Stoikern und Christentum ist in der Apostelgeschichte (Apg 17, 16) überliefert:

„Während Paulus in Athen (…) wartete, erfasste ihn heftiger Zorn; denn er sah die Stadt voller Götzenbilder. Er redete in der Synagoge mit den Juden und Gottesfürchtigen, und auf dem Markt sprach er täglich mit denen, die er gerade antraf. Einige von den epikureischen und stoischen Philosophen diskutierten mit ihm, und manche sagten: Was will denn dieser Schwätzer?“

(Apg 17, 16)